Darf man langjährige Mieter:innen wegen Eigenbedarf rausklagen? „Nein“, lautet die Antwort des Landgerichts (LG) Berlin. Ein Urteil, das allen alten und am Wohnort verwurzelten Mieter:innen lebenswichtigen Schutz bietet.
Langer Kampf bietet Schutzschild für andere Mieter:innen
Sechs Jahre musste eine 89-jährige Mieterin vor Gericht kämpfen, um in ihrer Wohnung bleiben zu dürfen. Die Vermieterin hatte ihr und ihrem mittlerweile verstorbenen Ehemann im Jahr 2015 wegen Eigenbedarf gekündigt.
Grund dafür, dass das Verfahren so lange ging, lag unter anderem daran, dass die Vermieterin mit allen rechtlichen Mitteln versuchte, das Paar aus der Wohnung zu klagen. Sie verfasste gleich drei Eigenbedarfskündigungen sowie sechs weitere verhaltensbedingte Kündigungen. Die verhaltensbedingten Kündigungen begründete sie unter anderem damit, dass das Ehepaar ein angeblich „unredliches (Prozess-)Verhalten“ an den Tag lege. Diese Behauptung wurde vom Gericht jedoch sofort abgeschmettert.
Trotzdem trieb die Vermieterin den Fall letztlich vor den Bundesgerichtshof (BGH), Deutschlands höchstes Zivilgericht. Aber auch der BGH stellte sich auf die Seite der Mieterin, bevor der Fall zurück an das LG Berlin zur endgültigen Entscheidung ging.
Hinzu komme, dass die bei alten Menschen häufig – wie auch hier – über Jahrzehnte gewachsene soziale Verwurzelung am Ort der Mietsache den Erhalt oder gleichwertigen Neuaufbau sozialer Strukturen andernorts behindere oder sogar ausschließe. Ein gegenteiliges Auslegungsergebnis hätte zur Folge, dass der letzte Lebensabschnitt eines alten Menschen von den Belastungen eines möglicherweise jahrelang dauernden Gerichtsverfahrens geprägt würde, in dem er zwecks Nachweises seiner Räumungsunfähigkeit die sachverständige Examination der eigenen Person unter Offenlegung sämtlicher höchstpersönlicher medizinischer und psychologischer Anknüpfungstatsachen zu erdulden hätte.
Letztlich ist das langjährige Verfahren zum Schutzschild aller älteren Mieter:innen geworden, für die ein Umzug die private Existenz in Gefahr bringt. Dieses gilt es zu nutzen, wenn Vermieter:innen alles daran setzen möchten, ihre Mieter:innen aus der Wohnung zu klagen.
Wann ein Umzug nicht zugemutet werden darf…
Gegen die Kündigung der Vermieter:in legte das Ehepaar vorab Einspruch ein und verwies darauf, dass beide seit 1997 in der Wohnung lebten und aufgrund ihres sehr hohen Alters in der Wohnung bleiben möchten. Außerdem ginge mit dem Alter ein beeinträchtigter Gesundheitszustand einher, der mit einem Umzug in eine neue Wohnung und an einen neuen Ort nicht vereinbar seien.
Der Ehemann führte zur Lebzeiten noch vor Gericht aus:
Wissen Sie, wir haben nur noch kurze Zeit zu leben. Wir wollen gerne in Frieden leben. Ein Umzug ist nicht mehr möglich... Ich kann mich auch nicht mehr an eine neue Wohnung gewöhnen. Meine Frau, die fast blind ist, ist an die Wohnung gewöhnt. In einer neuen Wohnung hätte sie massive Schwierigkeiten, sich zurechtzufinden. Hier kennen wir uns aus. Hier haben wir unsere Freunde. Wir wollen nicht weg von hier.
So traurig wie die ganze Angelegenheit auch sein mag, ging der Fall letztlich doch noch gut aus. Das LG Berlin kam zu der Entscheidung, dass die Folgen des Wohnungsverlustes so schwerwiegend seien, dass dadurch die Menschenwürde des Ehepaares verletzt wird. Dabei stützten sich die Richter:innen auf den Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes.
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