Viele Blitzer-Bescheide könnten unwirksam sein. Nachdem der saarländische Verfassungsgerichtshof (VerfGH) bereits im Sommer 2019 tausende Messungen für unrechtmäßig erklärt hat, beschäftigen sich nun auch Richter in Rheinland-Pfalz mit der Verwertbarkeit der Messdaten von Radarfallen. Bedeutet das freie Fahrt für Raser?
Teilerfolg vor dem VerfGH Rheinland-Pfalz
Der rheinland-pfälzische VerfGH hat der Verfassungsbeschwerde eines Klägers gegen einen Bußgeldbescheid teilweise stattgegeben. Ein Fahranfänger hatte sich zunächst vergeblich vor dem Amtsgericht Wittlich und dem Oberlandesgericht (OLG) Koblenz gegen den Bescheid gewehrt. Die Verteidiger des Klägers kritisierten, dass der Blitzer – eine mobile Radarfalle "PoliScan FM1" der Firma Vitronic – nur das Endergebnis der Messung speichere. Sie hätten bei der Klage vor dem OLG weder Zugriff auf Rohdaten noch auf die Gebrauchsanweisung und die Messstatistik des Geräts erhalten. All das sei notwendig, so ihre Argumentation, um sie für ihre anwaltliche Tätigkeit im Verfahren angemessen vorzubereiten.
Der VerfGH äußerte sich zwar nicht dazu, ob die Messdaten herausgegeben werden müssten. Die Richter positionierten sich aber zur Entscheidung des OLG Koblenz: Diese verletze den Kläger in seinen Rechten auf effektiven Rechtsschutz. Damit hoben sie das Urteil des OLG auf und die Klage wurde zurück ans OLG verwiesen.
Die Richter betonten allerdings, dass bei Verfahren zu Ordnungswidrigkeiten – im Gegensatz zu Strafverfahren – von einer komplexen Beweisaufnahme abgesehen werden kann. Hier müsse Rücksicht auf die Erfordernisse einer funktionierenden Rechtspflege genommen werden. Mit ihrer Entscheidung grenzte sich das VerfGH von einem Urteil der saarländischen Kollegen einige Monate zuvor ab.
Kein faires Verfahren mit Daten des TraffiStar S350
Im Sommer 2019 prüfte der VerfGH Saarland einen vergleichbaren Fall. Ein Autofahrer hatte bisher in zwei Instanzen erfolglos gegen einen Bußgeldbescheid in Höhe von 100€ Euro wegen zu schnellen Fahrens geklagt. Zu diesem Zweck verlangten dessen Verteidiger ebenfalls die Herausgabe aller Rohdaten der betreffenden Radarfalle, einem "TraffiStar S350" der Firma Jenoptik. Dabei stellte ein Sachverständiger fest, dass die Daten eine „unabhängige Geschwindigkeitskontrolle nicht annäherungsweise möglich“ machten. Eine Weg-Zeit-Rechnung sei beispielsweise nicht nachzuvollziehen. Aus diesem Grund sah sich der Autofahrer in seinen Grundrechten eines fairen Verfahrens und einer effektiven Verteidigung verletzt.
Denn der Blitzer der Bauart TraffiStar S350 speichert lediglich Anfangs- und Endzeitpunkt einer Messung, also nur das Ergebnis der Messung. Das Saarländische OLG hatte zuvor die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass es sich um ein standardisiertes Messverfahren handele. Damit seien Zweifel an der Richtigkeit des Messergebnisses nicht fundiert.
Der VerfGH Saarland bestätigte den Vorwurf des Klägers. Für ein faires Gerichtsverfahren sei es unerlässlich, die Validität einer standardisierten Messung prüfen zu können. Das gehöre zu den grundlegenden rechtsstaatlichen Anforderungen an die Verurteilung von Bürgern, so die Richter des VerfGH. Selbst wenn man davon ausgehen kann, dass der TraffiStar S350 gesetzliche Richtlinien einhält und generell zuverlässig und einwandfrei funktioniert, speichert das Gerät keine Rohdaten. Damit ist eine nachträgliche Prüfung nicht möglich.
Freie Fahrt für Raser?
Generell bleibt es natürlich dabei, dass zu schnelles Fahren mit Bußgeldern bestraft wird. Und im Gegensatz zur Entscheidung im Saarland hat das Urteil des rheinland-pfälzischen VerfGH zur Folge, dass die von der Polizei eingesetzten mobilen Blitzer in Betrieb bleiben. Und auch das saarländische Urteil hatte zunächst nur Auswirkungen auf Blitzer im Saarland. Wie der Saarländische Rundfunk berichtete, waren zur Zeit des Urteils rund 30 Blitzer des betreffenden Typs "TraffiStar S350" im Einsatz. Der Hersteller Jenoptik hatte in Folge des Urteils direkt angekündigt, Software-Updates für die Blitzer bereitzustellen. Fraglich ist allerdings nach wie vor, ob das Update dazu führt, dass die Geräte weiterhin verwendet werden können.
Außerdem ebnet das rheinland-pfälzische Urteil den Weg für eine Entscheidung in Karlsruhe. Die Richter ließen eine Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu. Weitere Entscheidungen müssten auf den Bußgeldsenat übertragen werden, um eine Vorlage vor dem Bundesgerichtshof (BGH) zu ermöglichen. Bis dahin gibt es aber nach wie vor nur einen Flickenteppich an richterlichen Urteilen in Deutschland, die sich von Bundesland zu Bundesland unterscheiden.
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