Haben Teilzeitbeschäftigte bereits dann einen Anspruch auf einen Überstundenzuschlag, wenn sie ihre individuell vereinbarte Arbeitszeit überschreiten, jedoch nicht das Stundenvolumen eines Vollzeitbeschäftigten erreichen? Nach jahrelang einheitlicher Rechtsprechung fällte das Bundesarbeitsgericht am 23. März 2017 ein völlig neues, wegweisendes Urteil zu dieser Frage. Wir informieren Sie darüber, was sich nun in Zukunft für Arbeitnehmer in Teilzeit ändert.
Der Fall
Bei dem Kläger handelte es sich um einen Gesundheits- und Krankenpfleger, welcher als Teilzeitbeschäftigter 29,25 Stunden pro Woche gearbeitet hat. Er wurde nach dem Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst (TVöD) bezahlt. Über einen Zeitraum von knapp anderthalb Jahren musste er auf Verlangen seines Arbeitgebers mehrfach seine vereinbarte Arbeitszeit überschreiten. Ausgeglichen wurden die zusätzlichen Arbeitsstunden durch freie Tage, der Krankenpfleger erhielt also keinen Überstundenzuschlag. Aus diesem Grund klagte er vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG).
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Warum war der Fall so problematisch?
Bislang hat die Rechtsprechung das Gesetz einheitlich wie folgt ausgelegt: Teilzeitbeschäftigten steht erst dann ein Überstundenzuschlag zu, wenn ihre Arbeitszeit die eines Vollzeitbeschäftigten übersteigt. Das bedeutet: Wenn eine Vollzeitbeschäftigung eine Arbeitszeit von 40 Stunden vorsieht, erhält der Angestellte ab der 41. Stunde einen Überstundenzuschlag. Ein Teilzeitbeschäftigter mit beispielsweise 20 Wochenstunden erhält ebenfalls erst dann einen Zuschlag, wenn er mehr als 40 Wochenstunden arbeitet. Um den Zuschlag zu bekommen, müsste er also mehr als das Doppelte der vertraglich vereinbarten Zeit arbeiten.
Obwohl dies auf den ersten Blick wie eine Benachteiligung Teilzeitbeschäftigter wirkt, sah die Rechtsprechung hier lange Zeit keine Diskriminierung, weil Voll- und Teilzeitbeschäftigte letzten Endes für die gleiche Anzahl an Stunden auch die gleiche vom jeweiligen Tarifvertrag vorgesehene Vergütung erhalten. Vor diesem Hintergrund weigerte sich der Arbeitgeber, dem Krankenpfleger einen Überstundenzuschlag auszuzahlen – seine im Schichtplan vorgesehene Arbeitszeit überstieg die eines Vollzeitbeschäftigten nicht, sondern lediglich den vereinbarten Stundenumfang.
Die Entscheidung des BAG
Das BAG entschied am 23. März 2017, dass dem Krankenpfleger ein Überstundenzuschlag zusteht (AZ: 6 AZR 161/16). Dem Gericht zufolge handelte es sich bei den geleisteten Arbeitsstunden um „ungeplante Überstunden“ im Sinne des TVöD. Diese können – anders als sogenannte „geplante Überstunden“ – nicht durch freie Tage ausgeglichen werden, sondern sind zuschlagspflichtig.
Fraglich war, ob es sich tatsächlich um „ungeplante Stunden“ handelt, wenn diese mittels eines Schichtplans bereits im Vorfeld angeordnet werden und nicht spontan aus gegebenen Umständen geleistet werden müssen. Die entsprechende Norm ist den Richtern zufolge nur schwer verständlich, kann und muss jedoch im Sinne des klagenden Krankenpflegers ausgelegt werden.
Überstunden liegen nach Ansicht des Gerichtes auch nicht erst dann vor, wenn die Arbeitszeit des Teilzeitbeschäftigten die eines Vollzeitbeschäftigten überschreitet. Dies würde gegen die Gleichbehandlungsvorschrift des Teilzeit- und Befristungsgesetzes verstoßen, da anderenfalls unterschiedliche Belastungsgrenzen gezogen werden würden. Diese sind individuell und messen sich gerade an der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit. Vielmehr ist die erste darüber hinausgehende Überstunde für Teilzeitbeschäftigte gleichermaßen belastend und einschränkend wie für Vollzeitbeschäftigte – unabhängig davon, wie viele Stunden nun konkret in einer Woche gearbeitet werden oder bereits gearbeitet worden sind.
Was bedeutet das Urteil?
Mit der Entscheidung des BAG können nun deutlich mehr Arbeitnehmer einen Überstundenzuschlag verlangen. Anders als in der Vergangenheit können sie sich nun auf das rechtskräftige Urteil berufen, während Arbeitgeber wiederum nicht einfach auf die bisherigen Gerichtsentscheidungen verweisen können. An unterschiedlichen Stellen – insbesondere von Gewerkschaften und Personalvertretungen – wird über die neue Rechtsprechung informiert, denn viele Arbeitnehmer kennen ihre Rechte bislang nicht genau und geben sich mit einem Freizeitausgleich zufrieden.
Wie wegweisend das Urteil ist, zeigte sich im Übrigen auch in einer weiteren Entscheidung des BAG (AZ: 10 AZR 231/18): Im Dezember 2018 wurde einer in Teilzeit beschäftigten stellvertretenden Filialleiterin im Gastronomiebereich ebenfalls ein Anspruch auf Überstundenzuschlag zugesprochen, nachdem dieser zunächst vom Arbeitgeber abgelehnt wurde. Es zeichnet sich somit nicht ein einmaliger, sondern ein deutlicher, arbeitnehmerfreundlicher Umschwung ab.
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Ein weiterer Schritt zur Schließung des „Gender Pay Gap“?
Den Entscheidungen des BAG lagen keine Gender-Fragen zugrunde. Dennoch ist die Thematik hierbei präsent: In den allermeisten Branchen besteht die Mehrheit der Teilzeitbeschäftigten aus Frauen. Durch die neue Rechtsprechung steht ihnen nun deutlich häufiger ein Anspruch auf Überstundenzuschlag zu. Die Urteile tragen so direkt dazu bei, die Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen auszugleichen – Ein weiterer Aspekt, der Teilzeitbeschäftigte bestärken sollte, sich gegenüber ihrem Arbeitgeber auf die Kursänderung der Gerichte zu berufen und einen Überstundenzuschlag nicht nur zu verlangen, sondern ihn in jedem Fall auch durchzusetzen, notfalls mit anwaltlicher Unterstützung.