Wenn der Versicherungsnehmer die Versicherungssumme eines bestehenden Vertrages reduzieren möchte, muss ihn der Versicherungsvermittler ggf. auf die Gefahr der Unterversicherung und die Bedeutung des Wiederbeschaffungswerts hinweisen. Er darf nicht unterstellen, dass sein Kunde die Folgen allein überblickt.
Der Fall
Die Versicherungsnehmerin verfügte über mehrere Versicherungsverträge. Dazu gehörte auch eine Versicherung, mit der die Betriebs- und Geschäftsausstattung ihres Handelsunternehmens sowie der Warenbestand gegen Einbruchsdiebstahl und sonstige Risiken versichert waren. Versichert war der Neuwert.
Ein Mitarbeiter der Versicherung (Versicherungsvermittler) suchte die Geschäftsinhaberin zu einem Beratungsgespräch auf. Im Ergebnis wurde die Versicherungssumme von 480.000 auf 390.000 € reduziert. Das nicht unterzeichnete Beratungsprotokoll vermerkt dazu „Einsparpotenzial“, „keine abweichenden Kundenwünsche zur empfohlenen Versicherung/Absicherung“ sowie die „Umstellung/Bündelung“ der bisher bestehenden Versicherungsverträge in eine neue Unternehmenspolice auf Wunsch des Kunden.
Kurze Zeit nach der Vertragsänderung entstand durch einen Einbruch ein Schaden von 129.437 €. Die Versicherung berief sich auf Unterversicherung und zahlte nur den anteiligen Wert von 80.834,53 €.
Die Versicherungsnehmerin klagte daraufhin auf Zahlung der Differenz von 48.602,47 € plus Zinsen wegen Falschberatung. Der Vermittler habe die Versicherungssumme der Inhaltsversicherung unzutreffend ermittelt, weil er statt der Anschaffungswerte der versicherten Gegenstände die deutlich geringeren Buchwerte zugrunde gelegt habe. Außerdem sei sie nicht auf die Risiken einer Unterdeckung hingewiesen worden; die Minderung der Versicherungssumme aus Kostengründen sei nicht ihr Wunsch gewesen.
Die Entscheidung
In dem Berufungsverfahren stellte das OLG zunächst grundsätzlich fest, dass der Versicherer nach Vertragsschluss gegenüber seinem Kunden nicht zu einer vorsorgenden Rechtsberatung verpflichtet sei. Werden aber während eines Beratungsgesprächs Deckungslücken absehbar, so sei der Vermittler zu einer entsprechenden Beratung, d.h. Warnung verpflichtet. Selbst wenn es sich bei dem Kunden um einen Geschäftsmann handele, dürfe nicht von spezialisierten Versicherungs-Kenntnissen ausgegangen werden.
Aufgrund der nur lückenhaften Dokumentation des Beratungsgesprächs konnte der Vermittler nicht beweisen, ob er sich bei den angegebenen Werten vergewissert hatte, dass es sich um Neuwerte handelte. So unterstellte das Gericht die Veranschlagung der Buchwerte.
Das Urteil: Der Versicherer haftet wegen Verletzung nachvertraglicher Beratungspflichten für die Fehler seines Vermittlers aus dem Versicherungsverhältnis.
Oberlandesgericht Karlsruhe, Urteil vom 15. Januar 2013, Az.: 12 U 121/12
Kommentar
Der Wunsch der Versicherungsnehmer, überflüssige und überhöhte Versicherungen zu vermeiden, ist verständlich und legitim. Bei der Bestimmung des Versicherungswertes sind aber selbst versierte Geschäftskunden – wie dieser Fall zeigt – oft überfordert. Deshalb hat der Versicherer grundsätzlich die Pflicht, darüber aufzuklären, wenn er bzw. der Vermittler feststellen, dass zu dieser Frage Beratungsbedarf besteht. Zu den Beratungspflichten gehört dann auch, über die Gefahren einer Unterversicherung zu belehren. Wird dies versäumt, haftet im Schadensfall die Versicherung.